Nativ kommt aus dem Lateinischen. Dort steht nasci für „geboren werden“ oder nativus für „angeboren“ oder „natürlich“. In den Sprachwissenschaften spricht man von native, wenn jemand eine Fremdsprache so gut wie seine Muttersprache beherrscht. In den Kulturwissenschaften spricht man von nativ, wenn man versucht, sich so sehr in die zu untersuchende Gruppe zu integrieren, dass das Forscherdasein nicht weiter auffällt. In der Werbung heißt native, Anzeigen so gezielt für ein Online-Angebot maßzuschneidern, dass es dem geneigten User nicht weiter auffällt, ob etwas Werbung oder redaktioneller Inhalt ist – hauptsache es ist like-able.
Fullstop.
Diese in Kauf genommene Irreführung des Lesers mit dem schönen Namen „native ads“ sind der heiße Shice am Werbehimmel. Während in Deutschland alle Buzzfeed und Tumblr für ihre rasanten Zuwächse bestaunen, Artikel von Buzzfeed für ihr eigenes Online-Angebot nachbauen (eine Million Likes können nicht täuschen) und die meisten sowieso zunächst einmal kapieren wollen, warum die Angebote einen so großen Zulauf verzeichnen, können sich die Macher bereits die Hände reiben. Sie haben eine neue Werbe-Form erfunden, die ihnen die erhofften Einnahmen garantieren sollen. Und das in Zeiten, in denen traditionelle Verleger sich überlegen, wo bloß das schöne Geld herkommen soll.
Zauberwort: Native Ads
Native Advertising stammt der Legende nach von einer Rede vom Investor Fred Wilson im September 2011. Beim OMMA Global – das Branchentreffen für Werbechefstrategen – sprach Wilson von native monetization, einer Form der Werbung, die für den Nutzer so einzigartig und nativ sein sollte, wie irgend möglich. hat das Konzept aufgeschnappt und gilt als erster Vertreter der native ads. Die folgende Infografik veranschaulicht ziemlich gut, was native ads “können”.
Beispiel Facebook
Wer Facebook nutzt, ist bereits mit einer bestimmten Form von native ads vertraut. Im Newsfeed laufen regelmäßig Nachrichten ein, die in etwa so lauten: X gefällt Y. Soweit so natürlich. Dass es sich dabei nicht um einen aktuellen Vorgang eines Facebook-Freunds, sondern um eine Werbung handelt, zeigt ein kleines „Gesponsert“ unten rechts neben dem Datum des Posts. Das „native“ hier dran ist, dass die Werbung im ganz normalen eingeübten Facebook-Nutzungsverhalten eingebettet ist.
Beispiel Tumblr
Ähnlich verhält es sich bei Tumblr. Auch dort werden im Newsstream Posts ganz oben angezeigt, im Tumblr-Sprech „gepinnt“, für die jemand anders bezahlt hat. Das können Postings von Privatpersonen sein oder eben ganz „natürliche“ auf Tumblr abgestimmte Werbung. Gerade Tumblr, das in erster Linie für Bilder genutzt wird, bietet für native ads eine fantastische Spielfläche, unterscheidet sich doch Werbung zuweilen nicht wirklich von der Bilderflut, die ansonsten durch den Stream rauscht. Ein Bilderbuch-Zustand für Werber, die sich “nicht aufdrängen wollen”.
Beispiel Twitter & AP
Einen ähnlichen Weg geht aktuell Associated Press. Auf ihrem Twitter-Account liefern sie seit dem 7.1.2013 zweimal am Tag gesponserte Posts, die zwar klar gekennzeichnet sind, aber trotzdem einem Nachrichtenwert ähnlich sind. Keine schlechte Idee von AP, wenn man sich vor Augen führt, dass sie stolze 1.5 Millionen Follower haben und damit “natürlich” einen sehr eigenen (Werbe-)Kanal aufgebaut haben.
SPONSORED TWEET: Stay up to date on what’s trending live from CES 2013 at bit.ly/V4uqA0
— The Associated Press (@AP)
Der erste Tweet führte zu einer Seite von Samsung, die halt irgendwie auch über die CES2013 berichtet. Nur halt nicht unbedingt so, wie man das von einer Nachrichtenagentur gewöhnt ist. Aber: Lediglich 12 negative Rückmeldungen und dafür 20 Retweets! Der Plan der Werber, mit Blick auf virales Marketing, scheint aufzugehen. Nur: Erhöht das mein Vertrauen in die Nachrichtenagentur AP? Welche Medienkompetenz muss man von einem Nutzer erwarten, der klar erkennt, dass es sich hierbei um Werbung handelt.
Beispiel Buzzfeed
Widmen wir uns also den Königen der native ads. , den ich ja ein bisschen bewundere, hat mit Buzzfeed ein Tollhaus für viralen Wahnsinn geschraubt, das seines gleichen sucht. Und er hat die Werbung gleich einfach mal ein bisschen neu erfunden. Direkt neben dem Aufmacher zur CES2013 gibt es den Artikel „15 Instagrams That GIRLS Will Surely Regret“ (sic!) – präsentiert von HBO. Und direkt zwischen dem zweiten und vierten Bildplatz-Artikel “Around the world with Hillary Clinton” und “25 Stacheltiere, die versuchen, sich ihrer Identität zu entledigen” (geil!) gibt es die total native Werbung von Jimmy Kimmel Live, der die elf witzigsten Musik-Comedy-Acts präsentiert.
Probleme beim native advertising
Wenn wir Buzzfeed jetzt aber als das ernst nehmen wollen, was sie sind, nämlich ein ziemlich freshes Medienunternehmen, das den etablierten zeigen will, wie Unterhaltung und Politik zeitgemäß im Netz präsentiert werden kann, dann müssen wir uns auch die Frage stellen, inwieweit bei dieser Form der Werbung der journalistische Grundsatz gewahrt wird, Werbung und Inhalt strikt voneinander zu trennen. Reicht da wirklich die farbliche Unterlegung der Beiträge und der dezente Hinweis “Featured Partner”?
By the way: Old media loves new media
At CES getting many brilliant presentations. So far most fun Buzzfeed @
— Rupert Murdoch()
Wie passt es zusammen, wenn Buzzfeed einerseits pünktlich zur US-Wahl sein politisches Profil mit dem Einkauf von von Politico schärft und andererseits Barack Obama Platz für seine Wahlkampfkampagne (Werbung!) in Form von native ads gibt. Glaubt da wirklich jemand an eine strikte Trennung zwischen Werbung und redaktionellem Inhalt?
Branded Content funktioniert – Cola schmeckt ja auch
Natürlich ist es auch für eine Firma wie Samsung spannend, ihre neue Kamera in einem Artikel mit dem Namen “18 of the most photogenic cities in the world” bei Buzzfeed zu featuren. Das steht ja außer Frage. Auch ist es mehr als klar, dass Buzzfeed damit gutes Geld verdienen kann, weil sie den Firmen dadurch Werbeplätze bieten, die garantiert mehr geklickt werden als lästige Bannerwerbung oder Pop-up-Layer (Würg!).
Aber was bedeutet das für das Nutzungsverhalten der Leser? Werden sie dadurch nicht gnadenlos daran gewöhnt, redaktionelle Inhalte und branded content durcheinander zu werfen? Verrückt genug, dass Coca-Cola und Co eigene Websites bauen, die mehr einem Infotainment-Portal gleichen als einer klassischen Unternehmens-Homepage. Mit Blick auf den Leser/User darf man nicht zuviel Medienkompetenz erwarten a la “Hach, das ist ja Werbung, ist ja klar, das ist ja auch gelb hinterlegt. Wenn ich jetzt das geile Posting lese, dann weiß ich ja, dass das von Coca-Cola ist. Trotzdem geil.”
Native Ads in Deutschland
Wer jetzt meint, dass ist alles Müll, der nur für amerikanische Seiten interessant ist, der irrt. Native Ads sind auch in Deutschland bereits vertreten. Gerade neulich bin ich – als einigermaßen aufgeklärter Mediennutzer – bei netzwertig.com auf eine Werbung „reingefallen“. Durch einen Link vom Kollegen bin ich auf eine Artikelseite gelangt. Statt des erwarteten Artikels bekam ich allerdings eine native ad geboten, die ich zu lesen began. Es dauerte eine Weile bis ich kapierte, dass der Teaser nicht zu dem Artikel passt, den ich erwartet hatte. Der Artikel befand sich weiter unten.
Ich schätze die Seite netzwertig.com sehr und finde auch die Artikel von Martin fast ausnahmslos interessant. Trotzdem stelle ich mir als Nutzer die Frage, ob solche Werbung mein Vertrauen in die Seite nicht abwertet. Dünnes Eis. Aktuell kann ich auf der Seite keine native ads entdecken.
Denn bei aller Liebe zu Obama-Gif-Content, will ich nicht schleichend und trickreich mit branded content versorgt werden. Schon gar nicht auf originären Nachrichtensites.
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